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BEGEISTERUNG:PREDIGEN | Nora Steen, Bischöfin
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# Predigten

BEGEISTERUNG:PREDIGEN | Nora Steen, Bischöfin
27.07.2025
Predigttext Lukas 14, 15-24
Der Friede Gottes sei mit euch allen!
Sie haben mich eingeladen, eine biblische Geschichte zu wählen, die mich begeistert. Sie haben sie eben gehört.
Und weil es ja in der Predigtreihe auch darum geht, das eigene Leben mit einzutragen, möchte ich mit einer ganz persönlichen Geschichte beginnen.
Es war an einem Abend im Sommer 2010. Ein Gemeindehaus südlich von hier, in Hildesheim.
Es hatte ein Konzert in unserer Kirche gegeben. Eine Veranstaltung von vielen, die Kirche, unsere Kirche, die Michaeliskirche, hat in diesem Jahr ihren 1000. Geburtstag gefeiert. Und viele haben mitgemacht. Über 100 Ehrenamtliche waren in verschiedene Dienste eingeteilt. Sie haben Stühle geschleppt, Bühnen aufgebaut, Kaffee gekocht, Andachten gefeiert, Stadtführungen gemacht, haben Pilgerwege durch die Stadt begleitet. Unser Ziel: Wir wollten in diesem Jahr so viele unterschiedliche Menschen wie möglich in unsere Kirche locken. Auch die, die sonst nie dort hineingehen würden. Die halt nicht kulturinteressiert sind. Die mit Kirche nichts zu tun hatten, niemals. Die, die von Kirche verletzt worden sind.
An diesem Abend hatte es eine Kulturnacht gegeben. Mit LED-Lichtern überall um die Kirche, mit Liegestühlen in der Kirche, mit Tanz und Stille und Gesang. Als alle Leute gegangen waren und alles abgebaut war, war es kurz vor Mitternacht. Wir waren alle fix und fertig. Und ich erinnere mich wie heute: Wir standen im Gemeindehaus, die Spülmaschine lief, wir waren noch so ungefähr 20 Leute – im Alter zwischen 19 und 75 Jahren. Wir sahen uns an. Und eine, Dagmar, sagte: Ich hole den Sekt aus dem Kühlschrank. Und wir wussten: Genauso muss das jetzt sein.
Und wir saßen zusammen. Jung und Alt. Eine eingeschworene Gemeinschaft. Und waren sehr zufrieden mit uns. Weil wir es geschafft hatten, sehr, sehr viele Menschen glücklich zu machen an diesem Abend. Weil unsere Kirche zu einem Ort der Gastfreundschaft geworden war. An dem Menschen gespürt haben – hier werde ich gesehen. Hier darf ich sein, die oder der ich bin.
Und allen war klar: Jede und jeder von uns war dafür gleichermaßen wichtig gewesen. Egal, ob man die Technik bedient, Gäste begrüßt oder Getränke ausgeschenkt hat. Niemand hätte fehlen dürfen.
Es wurde 3 Uhr nachts. Aber egal. Solche Nächte braucht es.
Für mich sind es solche Momente, die mir zeigen: Kirche ist ein großartiger Ort. Wo sonst können so unterschiedliche Menschen zusammenkommen und tief spüren – wir gehören auch zusammen, so verschieden wir auch sind. Und meist ist es ja auch so – die, die da sind, sind die richtigen.
Und jetzt komme ich zu unserem Bibeltext: Genauso stelle ich es mir vor, damals in dieser Geschichte, die wir eben schon von Jesus gehört haben.
Es sind auch die eingeladen, die nicht ins Konzept passen. Die sich zu Tisch nicht benehmen können. Die nicht die passende Kleidung anhaben. Kurz: Die eigentlich nicht dazugehören.
Und die Aussage dahinter: Bei Gott sind alle willkommen. Das Reich Gottes ist kein exklusiver Club nur für einige Auserwählte. Hier haben alle einen Platz am Tisch.
Hier genau zeigt sich für mich eben auch das, was wir als Christinnen und Christen in unsere heutige Zeit einbringen können – und sollen!
Bei uns sind alle willkommen. Damit ist gemeint, wirklich alle. Auch die, die ansonsten keinen Platz haben. Die sich nicht benehmen können. Die nicht die passende Kleidung anhaben.
Das ist es, was Jesus von uns ganz klar erwartet.
Und natürlich, das weiß ich, kommen wir damit an Grenzen. Sind wirklich alle willkommen in unseren Gemeinden, in unseren Gottesdiensten?
Sind wir wirklich bereit, hier alle mit dabei zu haben? Auch die, die extrem stören, die laut sind, die kritische Fragen haben, die nicht gut riechen oder die gar kein Deutsch verstehen? Auch die, die politische Meinungen vertreten, die für uns nicht mit dem christlichen Menschenbild vereinbar sind?
Sind hier nicht wirklich auch Grenzen?
Ich finde, allein dies ist eine wichtige Erkenntnis, dass wir uns dieser Frage stellen müssen. Wo sind in unserer Gemeinde die Grenzen – also die, die wir vielleicht nur unbewusst ziehen – aber auch die, die wir bewusst ziehen, weil wir sagen: Hier ist Stopp.
Von vielen Menschen hier in Schleswig-Holstein weiß ich, dass sie sich von uns als Kirchen wünschen, dass wir uns für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stark machen. Dass wir schaffen, was an so vielen Orten nicht mehr möglich ist – dass sich verschieden denkende und glaubende Menschen treffen, sich austauschen.
Denn solche Orte sind wichtiger denn je. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Meinungen so sehr auseinandergehen, wie mit den wichtigen Herausforderungen der Zeit umzugehen ist. Ich nenne nur zwei, Migration und Klima.
Wäre es hier nicht wirklich unser Auftrag in den Kirchengemeinden, hier verstärkt nachzudenken, wie solche Räume und Angebote aussehen könnten?
Gerade hat hier in Schleswig-Holstein ein Angebot dazu gestartet. Viele Kirchenkreise haben sich zusammengetan und bieten eine Ausbildung an, um ehrenamtlich Demokratie-Coach zu werden.
Ich bin davon überzeugt: es ist unsere große Stärke als Kirche, dass es uns gelingt, mit so vielen unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten. Dass wir verschieden sein können und sogar sollen – weil uns eins eint: Christus in unserer Mitte. Und uns deshalb nichts voneinander trennen kann. Keine Kultur, kein Lebensstil, keine Sprache, keine politische Meinung.
Und das, Sie hatten danach in Ihrer Einladung gefragt, das begeistert mich. Hier haben wir etwas einzutragen in unsere Gesellschaft, das kaum jemand anders kann.
Vorgestern traf ich bei einem Diskussionsabend mit jungen Erwachsenen, die gerade auf einem Segelboot auf der Ostsee unterwegs sind und sich mit Klimafragen beschäftigen, unseren Umweltminister Tobias Goldschmidt. Wir sollten uns beide den Fragen der jungen Menschen stellen.
Eine Frage an den Minister lautete: Worin sehen Sie die Aufgabe der Kirche in der derzeitigen Situation? Und er sagte: Sie sind Lobbyisten für Liebe und für Menschlichkeit. Dafür brauchen wir die Stimme der Kirche dringend.
Mir hat das sehr gut gefallen. Und den jungen Menschen auch.
Wenn uns das gelingt, dass wir Lobbyisten für Liebe und Menschlichkeit sind, dann laden wir alle ein, die mit dabei sein wollen. Und zeigen ihnen damit: Du bist von Gott geliebt und gesehen. Und wir sehen dich.
Wie das konkret aussehen kann, habe ich vor einigen Tagen gelesen. Es hat mich sehr bewegt. Deshalb möchte ich Ihnen zum Schluss etwas vorlesen.
Wenn Besucher die Coventry Cathedral erreichen, sehen sie ein Schild an der Tür, auf dem steht:
Wir heißen alle herzlich willkommen: Singles, Verheiratete, Geschiedene, Verwitwete, Heterosexuelle, Homosexuelle, Verwirrte, Wohlhabende und Verwahrloste. Besonders willkommen sind schreiende Babys und aufgeregte Kleinkinder. Egal, ob Sie wie Pavarotti singen oder nur leise vor sich hin knurren können, Sie sind bei uns willkommen. Egal, ob Sie nur stöbern, gerade aufgewacht oder gerade aus dem Gefängnis entlassen wurden, Sie sind bei uns willkommen. Es ist uns egal, ob Sie christlicher sind als der Erzbischof von Canterbury oder seit Weihnachten vor zehn Jahren nicht mehr in der Kirche waren. Ein besonderes Willkommen sind alle, die über 60, aber noch nicht erwachsen sind, und alle Teenager, die zu schnell erwachsen werden.
Wir heißen alle Fitness-Mütter, alle Fußball-Väter, alle hungernden Künstler, alle Öko-Fans, alle Latte-Cola-Trinker, alle Vegetarier und alle Junkfood-Esser willkommen. Wir heißen alle willkommen, die sich in der Genesung befinden oder noch süchtig sind. Wir heißen dich willkommen, egal ob du Probleme hast, deprimiert bist oder organisierte Religion nicht magst. Wir sind auch nicht besonders begeistert davon. Wir heißen alle willkommen, die glauben, die Erde sei eine Scheibe, die zu hart arbeiten, nicht arbeiten, nicht buchstabieren können oder hier sind, weil Oma zu Besuch ist und in die Kathedrale wollte. Wir heißen alle willkommen, die tätowiert, gepierct, beides oder keines von beidem sind.
Wir heißen alle besonders willkommen, die gerade ein Gebet gebrauchen könnten, denen als Kind Religion aufgezwungen wurde oder die sich auf der Ringstraße verirrt haben und versehentlich hier gelandet sind. Wir heißen Pilger, Touristen, Suchende, Zweifler und dich willkommen.
So kann es aussehen, wenn wir Lobbyisten für Liebe und Menschlichkeit sind, auch in unseren Kirchenräumen. Alle sind eingeladen, so wie wir eben sind. Und die Tafel wird bunt. So, wie Gott sich das mit uns Menschen gedacht hat.
Amen
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